Bei Peter Pan denken wir gleich an das berühmte Kinderbuch des Autoren Matthew Barrie oder den gleichnamigen Zeichentrickfilm aus den Disney Studios. Doch was uns Autor und Zeichner Regis Loisel im ersten dieser auf fünf Bände angelegten Comicadaption zeigt, ist eine Version der Geschichte, die eigentlich viel besser in unsere Zeit passt, als die bisher bekannten, sehr lieblichen Varianten.
Regis Loisel interpretiert die Geschichte um den Waisenjungen Peter Pan, der auf einer paradiesischen Insel irgendwo auf dem weiten Meer lebt, ganz anders. Hier fristet Peter ein armseliges, von Gewalt und Verbrechen beherrschtes Leben im London des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der Vergleich mit den Romanfiguren Oliver Twist oder David Copperfield liegt nahe. Peter entgeht in den nächtlichen Straßen Londons nur knapp einer Vergewaltigung und kurz darauf trifft er die kleine Fee Glöckchen. Diese nimmt Peter mit auf ihre Insel, die bevölkert ist von wirklich wilden Seeräubern und allerlei anderen schrecklichen Gefahren.
Dies ist kein Comic für Kinder! Gewalt und Kriminalität werden hier auf sehr bedrückende Weise ungeschönt dargestellt und spiegeln eigentlich in vielen Aspekten die heutige Gesellschaft wider: Jeder ist sich selbst am nächsten, es sei denn man kann einen Vorteil aus einer Beziehung ziehen... Bekannt wurde der Franzose Regis Loisel, Jahrgang 1951, Anfang der 80er-Jahre mit dem Fantasy Epos Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit, das auf Deutsch in fünf Bänden komplett bei Carlsen vorliegt. Hier hat er zusammen mit dem Autoren Serge Le Teindre eines der wegweisenden Werke der heutige Comicszene in Frankreich geschaffen. Seitdem haben sich unzählige Künstler auf diesem Gebiet versucht, aber die wenigsten konnten auch nur annähernd diese Qualität an Erzählkunst erreichen. Für das nächste Jahr ist der fünfte und letzte Band seines Peter-Pan-Zyklus angekündigt, der aber aufgrund seines immer mehr steigenden Umfangs schon mehrfach verschoben wurde. Das Warten dürfte sich aber lohnen! --Stefan Schätz